Dienstag, 5. März 2013

Die Sockenentscheidung

Dies ist mein letzter ausführlicher Beitrag bis Ende des Monats, da ich mich abschlussarbeitstechnisch jetzt erst einmal einigeln werde. Die Wochenrückblicke wird es aber weiter geben und ab Anfang April geht es wie gewohnt weiter.

Als wir an meinem Geburtstag essen waren, kam M.s Mutter auf ein schönes Thema und einen knackigen Begriff für so vieles, das mich auch immer wieder beschäftigt: Die Sockenentscheidung. Vereinfacht gesagt: Man muss sich fragen, ob man zwei zueinander passende Socken trägt, weil „man das so macht“ oder weil man selbst es so will. Natürlich ist diese Frage auf ein Kleinstdetail bezogen, aber dennoch veranschaulicht es sehr gut das, was ich selbst oft in Frage stelle: Tut man etwas aus freiem Willen heraus oder durch Beeinflussung Anderer? Und in meinem Leben wird diese Frage immer zentraler. Vielleicht ist dies heute meine Art zu rebellieren, nachdem ich in meiner Teeniezeit ein doch relativ braves Kind war, das es wegen sehr liberalen Eltern und der langen Leine, die sie mir ließen, nie nötig hatte, sich aufzulehnen. Aber bereits als Neunjährige weigerte ich mich bei meiner Kommunion, ein weißes brautkleidartiges Taftkleid mit Reifrock anzuziehen, nur weil man so etwas üblicherweise bei der „Heiligen Kommunion“ als Mädchen trägt. Ich trug an diesem Tag dann einen beigefarbenen Hosenanzug und fühlte mich sehr wohl darin.
Damit will ich nicht sagen, dass man grundsätzlich rebellieren und alles anders machen soll als andere, bei der Sockenentscheidung geht es einfach nur um eine bewusste Entscheidung. Wenn man sich dann dazu entschließt, etwas so zu machen, weil alle anderen es auch so machen oder weil schon Uroma Berta es so gemacht hat, ist das vollkommen in Ordnung – insofern man es selbst so will. Aber etwas nur zu tun, weil es eben schon immer so war und weil man nicht aus der Reihe tanzen will oder weil man sich nicht traut, seine eigenen Ansichten zu vertreten, ist, es tut mir leid, wenn ich es jetzt so offen schreibe: feige. Jeder von uns hat natürlich schon so gehandelt, mich selbst nehme ich da nicht heraus, aber mein Ziel ist immer, Dinge zu hinterfragen. Ich habe zum Beispiel nichts gegen Traditionen per se, aber in den meisten Fällen ist es für mich ein kopfloses Nachkauen, ohne selbst wirklich diese Position zu vertreten.
Ein schönes Beispiel kam in den letzten Tagen auf. Da eine liebe Freundin von mir im Juni ihre kirchliche Hochzeit feiern wird, sprechen auch M. und ich öfters über dieses Thema. Heiraten war und ist für mich fast ein rotes Tuch, zwar sehe ich ein, dass eine Hochzeit ein schöner und besonderer Tag im Leben des Brautpaares ist, aber der Aufstand, der darum betrieben wird, ist mir unverständlich. Inzwischen kann ich mir zwar vorstellen zu heiraten, aber doch bitte in einem gemäßigten Rahmen und genau so wie ich das haben möchte und nicht wie irgendwelche Tanten, Traditionen oder allgemeine Vorstellungen. Es fängt schon beim Kleid an: Ich käme mir in einem klassischen weißen Brautkleid affig und nicht wie ich selbst vor. Ich würde lieber in einem dunklen Kleid heiraten (Zumal das Weiß für Jungfräulichkeit steht … Bitte …). Aber nein! Das tut man doch nicht! Wie kann ich nur? „Man“ zieht doch nun mal ein weißes oder ein helles Kleid an. Aber die Gegenfrage: Wieso zur Hölle soll ich in einem weißen Kleid heiraten, nur weil „man“ das so macht? Vielleicht werde ich auch ein weißes Kleid tragen, das weiß ich jetzt noch nicht. Aber das werde ich tun, weil ich es so will und nicht weil irgendwelche Üblichkeiten oder Brautmoden-Zeitschriften es mir so vorschreiben. Und wer ist eigentlich dieser ominöse „man“, der uns vorschreibt, was wir zu tun und zu lassen haben? Beim Thema Hochzeit geht das so weiter: Wieso soll ich eine Hochzeitstorte haben? Wieso einen Brautstrauß? Wieso soll ich auch nur irgendetwas so machen wie ich es eigentlich nicht will? Wieso sollen wir das tun?
Die Sockenentscheidung kann man auf alle Bereiche des Lebens übertragen: Wieso soll ich weiter Fleisch essen, nur weil in meiner Familie immer schon Fleisch gegessen wurde? Wieso soll ich Kinder in die Welt setzen, sobald ich verheiratet bin? Wieso soll die Frau in Erziehungsurlaub gehen? Wieso soll der Mann Hauptverdiener sein? Wieso muss man heiraten, wenn man als Paar länger als zehn Jahre zusammen lebt? Wieso soll ich keine Chucks auf einen Rock anziehen? Wieso soll ich noch nicht mit meinem Freund zusammenziehen, nur weil wir erst zwei Monate zusammen sind? Wieso soll ein Mädchen mit Puppen spielen und ein Junge mit Autos? Wieso soll ich das Dessert nicht schon vor dem Hauptgang essen? Wenn ihr euch auf diese Fragen selbst mit „Weil man das eben so macht“ oder „Weil man das eben nicht so macht“ oder etwas in der Art antwortet, solltet ihr euch fragen, ob ihr damit glücklich seid oder nicht. Es mag Menschen geben, die glücklicher sind, wenn sie so „fremdbestimmt“ leben, aber ich wage zu behaupten, dass dies wohl die Minderheit ist.
Unser Leben ist zu kurz, um insgeheim das Leben anderer zu leben. Wir sollten das tun, was wir selbst wirklich wollen und versuchen, so wenig Kompromisse einzugehen wie möglich. Dazu gehört vor allem Mut und Rückgrat. Man muss etwas wagen, um seinen eigenen Weg gehen zu können. Dieser Weg kann dann erst einmal etwas holprig sein, aber wenn wir keine neuen Wege einschlagen, kann sich nichts Neues entwickeln, dann werden wir keine eigenen Traditionen begründen und immer nur das fortführen, was schon immer da war. Diese Fragerei ist unbequem und kann auch anstrengend sein, aber letzten Endes macht dieses Hinterfragen der eigenen Entscheidungen glücklicher als das Nachkauen. Und wie gesagt: Es geht nicht darum, immer und prinzipiell einen eigenen Weg einzuschlagen, es geht um das Bewusstmachen all dessen, was unser Leben zu dem macht, was es ist. Es geht darum zu fragen: WILL ich meine Socken farblich passend anziehen oder nicht?

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