Montag, 16. September 2013

[Lesestoff] "Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer" von Alex Capus

(c) Frau von Saltkrokan

Alex Capus kenne ich zugegebenermaßen erst seit „Léon und Louise“, das mich aber restlos begeistert hatte. In seinem neuen Roman widmet er sich wieder vergangenen Zeiten und entwirft ein spekulatives Szenario: Am Züricher Bahnhof begegnen sich drei Menschen ganz zufällig und im Vorbeilaufen/-fahren. Der Abiturient Felix Bloch, der vor der Entscheidung steht, das richtige Studienfach für sich zu finden, Laura d'Oriano, das heimatlose Kind, das Sängerin werden will und von Emile Gilliéron, der die Asche seines Vaters in dessen Heimat verstreuen soll. Capus zeichnet die Lebenswege seiner drei Protagonisten nach und alle drei führt es in eine Richtung, mit der sie nicht gerechnet haben.
Felix Bloch und Laura d'Oriano kommt hierbei der größere Anteil zu, die beiden liegen altersmäßig auch am nahesten, während Emile Gilliéron älter ist und sein Leben daher eher im Rückblick erzählt wird. In seinem Fall erfährt man recht früh, wie es zur Bezeichnung „Fälscher“ kommt, bei Felix Bloch und Laura d'Oriano muss man sich lange gedulden bis sich ihre Wege so weit auflösen, dass man den Romantitel hinterblickt.
Da Felix Bloch sich für ein Studium der Physik entscheidet, ist seine Geschichte geprägt von physikalischen Fachbegriffen und Erläuterungen, für die man einen langen Atem oder ein generelles Interesse am Fach mitbringen muss. Dennoch ist Felix Bloch so sympathisch, dass ich wenig übersprungen und mich jedes Mal gefreut habe, wenn der Erzähler zu ihm zurückkehrte. Die Identifikation funktioniert mit Laura d'Oriano am einfachsten und sie ist die vielleicht faszinierendste Figur des Romans. Sie ist ein Kind, das in der gesamten Welt zuhause und doch heimatlos ist. Ihre Eltern sind Unterhaltungskünstler und auch wenn ihre Mutter Sängerin ist, will Laura niemals so werden wie sie – sondern mehr, eine Sängerin, die es nicht notwendig hat, ihr Strumpfband herzuzeigen und einfach mit ihrer Stimme überzeugt. Weil die Familie durch die halbe Welt reist, spricht Laura mehrere Sprachen fließend und scheint ohnehin gewitzt und klug zu sein.
Emile Gilliéron hat das Talent seines Vaters geerbt und ist ein begnadeter Zeichner. Sein Talent führt ihn in eine Richtung, die für ihn persönlich zwar viel Geld bringt, aber nicht gerade die edelste Tätigkeit ist – er wird Kunstfälscher. Da er um einige Jahre älter ist, wird seine Geschichte im Rückblick erzählt und spielt Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, während Felix' und Lauras Geschichten hauptsächlich in den Zwanzigern bis Vierzigern spielen.
Die Leben der drei hätten schon alleine einen ganzen Roman füllen können, durch die spekulative Begegnung der Protagonisten werden diese allerdings miteinander verflochten und auch später wird dies im Falle von Felix und Laura aufrecht erhalten. Emile fällt allerdings fast vollständig aus diesem Raster heraus und taucht gegen Ende hin auch immer seltener auf – dies mag darin begründet sein, dass er nicht so lange lebt wie Felix und Laura, aber man bekommt auch leicht den Eindruck, dass seine Geschichte schneller erschöpft ist und ganz traurig war ich – ehrlich gesagt – nicht darüber ...

Der Erzähler des Romans mutet manchmal nahezu postmodern an, wenn er Kommentare dazwischen wirft, und der Roman selbst bewegt sich zwischen faktenbezogener Biographie und fiktiver Erzählung, wobei um das Spekulieren nie ein Hehl gemacht wird. Die historischen Ereignisse werden immer wieder eingeworfen, teils präzise mit Datum, teils prophetisch, wenn Bezug auf den weiteren Lebensweg der Protagonisten genommen wird. Immer wieder heißt es „Er/Sie mag dies und das getan haben“, das Unwissen des Erzählers wird gepflegt statt vertuscht und so entsteht eine gelungene und spannende Symbiose zwischen Realität und Fiktion.

Leider konnte mich „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ nicht vollständig überzeugen; der Roman fällt hinter „Léon und Louise“ zurück. Nur im Detail blitzen immer wieder Momente auf, aus denen man allerdings mehr hätte machen müssen, um daraus einen mitreißenden Roman zu machen. Der Erzählstil ist sehr gekonnt, aber die Geschichten der drei Protagonisten haben mich nicht so an das Buch gefesselt wie ich es erwartet hätte. Besonders die Geschichte von Emile Gilliéron hat mich nicht berührt und gegen Ende hin auch kaum noch interessiert. Aufgrund der quantitativen Gewichtung hat man auch das Gefühl, dass es dem Autor nicht anders ging und auch emotional gesehen scheint ihm der Zugang zu Felix Bloch und Laura d'Oriano besser gelungen zu sein.
Insgesamt eine nette Unterhaltung, von der ich mir aber etwas mehr erhofft hatte und die mich auch mit dem Gefühl zurücklässt, dass da mehr gegangen wäre.



«Gut möglich, dass dem Mädchen bei der Einfahrt in die Stadt jener junge Mann auffiel, der im November 1924 oft zwischen den Gleisen auf der Laderampe eines grau verwitterten Güterschuppens saß, um die ein- und ausfahrenden Züge zu beobachten und sich Gedanken über sein weiteres Leben zu machen. Ich stelle mir vor, wie er seine Mütze knetete, während der Orient-Express an ihm vorüberfuhr, und dass ihm das Mädchen im hintersten Wagen ins Auge fiel, das ihn mit beiläufigem Interesse musterte.» (S. 11)



Hanser Verlag, Hardcover, 288 Seiten, ISBN: 978-3-446-24327-9, 19,90 € (Kindle: 15,99 €)

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