Mittwoch, 6. November 2013

[Rezension] "Der Russe ist einer, der Birken liebt" von Olga Grjasnowa

(c) Frau von Saltkrokan
Achtung! Spoiler konnten sich in dieser Rezension nicht vermeiden lassen. Wenn ihr also nichts vom Inhalt wissen möchtet, solltet ihr die Rezension vielleicht lieber nicht lesen und direkt zum Fazit springen.

Mascha ist keine einfache Protagonistin und für ihre Mitcharaktere keine einfache Frau. Sie hat eine ereignisreiche und aufwühlende Vergangenheit, die sie prägt und über die sie nicht spricht, nicht mit ihrem Freund Elias, nicht mit ihren Freunden und irgendwie auch nicht mit sich selbst. Aus diesem Grund wirkt sie sehr verschlossen und allen schönen Erzählens in der ersten Person zum Trotz hat man stets das Gefühl, nicht zu ihr durchzudringen. An ihr wird exemplifiziert, was Krieg in einem Menschen, ganz besonders einem Kind, zerstören kann. Maschas Vergangenheit bricht allerdings nur ab und an aus ihr hervor, in Bruchstücken erfahren wir vom Krieg in Aserbaidschan und dem Konflikt um die Bergkarabach-Region, von dem ich - ich gebe es ehrlich zu - keine Ahnung hatte. Daher ist es an manchen Stellen nicht so leicht, Mascha in ihren Gedankengängen zu folgen, auch später in Israel, wenn der Nahost-Konflikt allgegenwärtig ist, mag sich nur der sehr gut informierte Leser zurechtfinden. Leider gelang es der Autorin aber auch nicht, so viel Interesse und Neugier in mir zu wecken, dass ich mich nachträglich oder während der Lektüre schlauer gemacht hätte; im Gegenteil, irgendwann überlas ich so manchen Begriff, der mir unbekannt war, und es ermüdete mich, von der Kategorisierung der Menschen in Juden, Araber, etc. zu lesen. Falls das Buch die Wirklichkeit darstellen soll, ist dies der Autorin gelungen, aber die Darstellung von Individuen statt bloßer Herkunftsschablonen wäre befriedigender für mich gewesen.

Alle in diesem Buch sind heimatlos, zerrissen und verzweifelt - alle außer den klischeehaften Deutschen Elke und Horst, Elias' Eltern, die ein Reihenhaus im pseudo-mediterranen Stil bewohnen und Kuckucksuhren an der Wand hängen haben (die allerdings Erbstücke sind). Und das ist auch das Problem des Buchs: Statt mit Klischees aufzuräumen, verfestigt es diese. Die verzweifelte, trauernde Jüdin Mascha versucht ihrem Alltag zu entkommen und fliegt, natürlich, nach Israel, wo sie sich in die Arme einer Frau stürzt, bei der sie aber auch nicht das findet, was sie braucht. Das alles ist ein wenig "too much", es ist, als habe man auf einen Eisbecher mit Sahne und Kirsche noch einen Berg Sahne geschmiert, bis hin zum sehr offenen Ende, das bei literarischen Romanen wohl ein Muss ist ...
Die jungen Menschen in diesem Buch mögen dem "Nerv" ihrer Generation entsprechen, aber sie geben auch ein ziemlich trauriges Bild ab, wie sie orientierungslos und hilflos durch die Gegend und die Länder stürzen, durch diese Welt, die ihnen zu gehören scheint und ihnen dennoch nichts gibt. Außer vielleicht Trauer, Schmerz und das Gefühl, nicht geliebt zu werden. Vor allem Mascha scheint sich ungeliebt zu fühlen, sie verzehrt sich ständig nach Liebe, die sie weder von ihrem Ex-Freund Sami, ihrem verstorbenen Freund Elias und auch nicht von ihrer Affäre Tal bekommt. Denn obwohl sie nach Elias' Tod die Beziehung zu ihm und ganz besonders ihn stilisiert und sich an ihr abarbeitet, scheint diese Beziehung alles andere als perfekt und eine Liebe fürs Leben gewesen zu sein.

Fazit
"Der Russe ist einer, der Birken liebt" ist ein ambitioniertes Buch, das aber sehr überfrachtet und klischeehaft wirkt. Die Charaktere können da auch nichts herausreißen, man kommt schwer an sie heran und auch hier herrschen viele Klischees vor. Für Leser, die nicht so informiert in Sachen Nahostkonflikt sind, ist das Buch an vielen Stellen verwirrend.


«Als ich im Taxi durch Tel Aviv fuhr und im Radio laute orientalische Musik kam und der Fahrer mit einer Hand den Wagen lenkte und mit der anderen den Takt schlug, fühlte ich mich zu Hause. Es war ein längst vergessenes Zuhause, ein Mosaik aus der Landschaft, der Temperatur, der Musik, den Gerüchen und dem Meer. Ich bat den Fahrer, entlang des Strandes und durch das ärmere südlichere Tel Aviv zu fahren, bis ich merkte, dass ich zu Hause mit Orten assoziierte, die mich an Baku erinnerten.»  (S. 252f)

dtv. Taschenbuch. 288 Seiten. ISBN 978-3-423-14246-5. 9,90 €.
Ich danke dem DTV herzlich für das Rezensionsexemplar!

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