Dienstag, 20. September 2011

Erwachsenwerden

Vor vier Jahren bin ich von zuhause ausgezogen. Gestern vor vier Jahren bin ich offiziell in meine Wohnung gezogen, wenige Tage später war ich allein, meine Eltern (die beim Umzug und allem geholfen hatten) waren weg. Der Liebe wegen zog es mich etwas weiter weg als die meisten meiner Schulkameraden und bis heute habe ich diesen Schritt nicht bereut. Obwohl es anfangs sehr schwer war, so ohne Eltern. Früher habe ich immer groß getönt, ich würde auf jeden Fall wegziehen, irgendwohin wo mehr los ist - ob ich das wirklich getan hätte, bezweifle ich inzwischen. Denn schließlich bin ich kein sehr sozialer Mensch, Bekanntschaften schließen fällt mir schwer, ich gehe nicht so leicht auf andere zu.

Was hat sich seitdem geändert? Statt mit meinem Freund führe ich jetzt mit meinen Eltern eine Fernbeziehung. Meine beste Freundin sehe ich oftmals nur zwei-, dreimal im Jahr (moderner Kommunikationsmittel sei Dank ist das Sich-sehen aber nicht mehr so wichtig wie früher). Manchmal vermisse ich meine Heimatstadt, aber das meist nachdem ich gerade erst dort war. Ich liebe meine Wahlheimatstadt, auch wenn mich vieles hier nervt: Die Schickeria-Tussis, die vielen Baustellen zur Zeit, der weite Weg zum nächsten Wald. Sowieso hätte ich nie gedacht, dass mir der Wald, der fast um die Ecke meines Elternhauses liegt und den ich wahrlich nicht oft besucht habe, so sehr fehlen würde. Inzwischen kann ich mir sehr gut vorstellen, wieder ländlicher zu wohnen, obwohl ich die Vorteile der Großstadt sehr genieße.
Am meisten habe ich mich selbst verändert. Mein Charakter ist, wage ich zu behaupten, noch der gleiche, aber ich bin erwachsener geworden. Das muss man wohl zwangsläufig, wenn man mit nicht mal zwanzig Jahren von zuhause auszieht und wenigstens zu Dreivierteln auf eigenen Beinen steht (das letzte Viertel, das ist immer noch die elterliche Fürsorge). Doch meine Ansichten haben sich geändert, vor allem im letzten Jahr hat sich etwas in Gang gesetzt. Früher (zumindest bevor ich meinen Freund kennen lernte) träumte ich von Karriere, Geld und der großen Welt. Die große weite Welt will ich immer noch sehen und Geld wäre auch nicht so schlecht, aber nur das Minimum, zum Rechnungen bezahlen und für das ruhige Gefühl und um ab und an die große weite Welt zu bereisen. Nun träume ich von einem Häuschen im Grünen, in der Nähe der Stadt, einem großen Garten mit Nutzfläche, einem Stall für die Hühner (die wir nach den Bondgirls benennen wollen). Für manche vielleicht ein spießiges Leben, aber für mich ein Stück Freiheit. Es wäre toll, wenn ich nicht mehr so abhängig von der großen weiten Welt wäre, aber ganz ehrlich: versuch das mal einer heutzutage. 
Ja, ich werde erwachsen. Noch nie habe ich mir Gedanken um die nächste Party gemacht. Noch nie hatte ich nichts anderes als mein Vergnügen im Sinn, war nie ein typisches Mädchen mit fünfzig Paar Schuhen und Terminen bei der Kosmetikerin. Mir war der Inhalt meines Kopfes schon immer wichtiger als meine Frisur. Aber ich habe mir auch nie Gedanken gemacht, wie ich leben will, nun tue ich es. Ich lebe heute fleischlos und halte Veganer nicht mehr für weltfremd und durchgedreht, ich kaufe keine Produkte mehr, die an Tieren getestet wurden, ich mache einen Bogen um Fertigprodukte und gehe im Bioladen einkaufen. "Öko" ist kein Wort mehr, dass ich mit Jesuslatschen und freudlosem Essen in Verbindung bringe, sondern eins, das man sich stolz auf die Fahnen schreiben kann. Manche sehen keine Notwendigkeit darin, sich über solche Dinge Gedanken zu machen, doch das sind keine Luxusprobleme, die nur privilegierte Bildungsbürger sie haben sollten, denn solche Themen gehen alle etwas an. Vielleicht macht das das Erwachsenwerden aus: Dass man seinen eigenen Kopf entwickelt und sich sein Leben einrichtet - nicht nur indem man eine Wohnung und einen Job hat, sondern auch indem man sich Gedanken macht.

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