Freitag, 6. Januar 2012

Das goldene M

Heute möchte ich mich einem Thema widmen, zu dem wohl die meisten unserer Generation einiges zu sagen haben: Fast Food und im ganz speziellen die allseits bekannte Kette mit dem goldenen M. Im Heimaturlaub habe ich etwas für mich ganz persönlich getan, das ich zunächst auch mit mir selbst ausmachen wollte, aber dann wurde mir klar, dass mir so viele Gedanken dazu durch den Kopf gehen, dass ich sie aufschreiben will. 

Nachdem ich vom Besuch einer Freundin abends nach Hause fuhr, bekam ich Lust auf etwas zu essen - und wo fährt man um halb zehn Uhr abends hin? Natürlich ... Allerdings war es diesmal anders. Als Vegetarier hat man eh nicht so seine Freude an den üblichen Fast Food-Ketten, aber in diesem Moment beschloss ich: Das ist mein letztes Mal hier, dieser Konzern soll keinen Cent mehr von mir bekommen. Auch nicht für "Ist ja nur ein Eis" oder "Aber das Café ist ja eigentlich nicht das gleiche wie der Fast Food-Laden". Ich ging also rein, bestellte mir zwei Burger (die es zum Glück ja inzwischen auch vegetarisch gibt), ein Eis und eine heiße Obsttasche. Ich war etwas entsetzt angesichts des Preises, den ich dafür bezahlte, setzte mich aber hin und aß. Ich sah mich um, ich wollte wissen, wer noch so alles mitten in der Woche zwischen Weihnachten und Silvester um halb zehn Uhr abends im amerikanischen "Restaurant" saß. Es waren - ohne abfällig klingen zu wollen - eher armselige Gestalten. Ein Vater mit seinen beiden halbstarken Söhnen, ein paar frotzelnde Jugendliche, ein Paar, das figürlich gesehen besser einen Salat bestellt hätte. Ich packte meinen zweiten Burger aus und ich fand ihn nicht mal schlecht. Erinnerungen wurden in mir wach: In dieser Filiale war ich auch in meiner Kindheit schon. Hier ging mein Vater (der eigentlich diesem ganzen Fast Food nie etwas abgewinnen konnte) ab und an mit mir hin, meistens nach dem Kino, das wir als ich klein war, oft besuchten. Fast Food gab es bei uns vielleicht alle zwei Monate mal, eher seltener. Ich aß als Kind nie Burger, nur die Hühnchenteile, immer mit süßsaurer Sauce. Damals hatte das Kindermenü noch einen deutschen Namen (Gott, was bin ich alt!), inzwischen ist es "hip" und pseudoenglisch, so wie alles. Da war dann Spielzeug drin, oftmals gerade passend zu dem Film, in dem wir gewesen waren: Schöne und das Biest, Der König der Löwen, Pocahontas. Was mein Vater sich alles ansehen musste ;-)
Jetzt war das Eis an der Reihe: mit Schokosauce. Cremig-weich und wirklich lecker. Es war schon ein bisschen angeschmolzen, weil ich ja erst die beiden Burger gegessen hatte. Kaltes Fast Food ist nämlich mehr als eklig. Ich kam gerade in die Pubertät, als das andere - noch bekanntere - Eis eingeführt wurde: Mit allen möglichen Toppings dazu. Freunde der Familie wohnten eine Straße weiter, als sie dort hinzogen und noch renovierten, liefen meine Freundin und ich oft zum Goldenen M und holten uns ein Eis oder einen Burger.
Als ich das erste Mal in Paris war, hatte ich vorher über ein Jahr lang nicht mehr beim Goldenen M gespeist. Weil ich nach der langen Fahrt ein Loch im Magen hatte, gingen meine Eltern und ich ein paar Straßen weiter, um zu gucken, ob es dort etwas gibt, wo man etwas essen kann. Und dann das Goldene M. Ich holte mir einen Burger und biss hinein und in diesem Moment war es das tollste, was ich hätte essen können.
In der Abiturzeit dann, als irgendwer immer ein Auto hatte, fuhren wir oft in Freistunden dorthin.  Unsere Schule war im selben Ort, der Aufenthaltsraum in der Schule selbst war von den jüngeren Schülern belagert. Nach meiner letzten schriftlichen Abiturprüfung (Englisch) fuhr ich mit einer Freundin dorthin. Irgendwann zu der Zeit machten dann auch die Cafés auf, die stilvoll wirken mit dem dunklen Holz und den loungigen Sesseln.
Zum Schluss die Obsttasche. Früher gab es die ja mit Kirschen, die hatte ich geliebt als Kind. Irgendwann haben sie dann Äpfel reingetan - und ich hab meinen Kirschen hinterhergetrauert. Aber in der Not frisst der Teufel ja Fliegen ... Meistens aß ich die Obsttasche auf dem Heimweg im Auto. "Sei vorsichtig, die ist heiß!" hieß es dann oft. Ich beiße rein, es knuspert, es ist heiß und süß. Könnte man ja auch mal irgendwie selbst machen, denke ich, und in diesem Moment wird mir klar: Ich bin nicht mehr dieselbe wie noch vor zwei Jahren. Ich schaue mich ein letztes Mal um, fast wird mir wehmütig zumute. Als ich fertig bin, stelle ich mein Tablett an der Rückgabestation ab und gehe hinaus zum Auto. Es regnet leicht, es ist schon seit Stunden dunkel.

Auf dem Heimweg bin ich sehr nachdenklich. Ich esse kaum noch beim Goldenen M, aber manchmal erliege ich der Versuchung. Zum Beispiel, wenn ich auf dem Weg zu meinen Eltern Zwischenstation habe, bevor es in einer Dreiviertelstunde weitergeht mit dem nächsten Zug. Da ist es bequem und geht schnell. Oder im Sommer, wenn ich im Einkaufszentrum bin, da verspüre ich Lust auf ein Eis mit einem leckeren Topping. Doch jedes Mal danach habe ich ein schlechtes Gewissen. Weil es ungesund und schlecht für die Figur ist, das schon seit Jahren. Aber seit neuestem auch, weil ich nicht mehr gedankenlos konsumieren kann. Ich denke an all das, was hinter so einem Burger oder einem Eis steht. Und da kann mir die Werbung noch so oft vorlügen, dass die Kühe, die auf dem Burger landen, glücklich über die Wiese gelaufen sind. Und dann hat auch noch der Schuhbeck Werbung für das Goldene M gemacht - ausgerechnet der! Der verkauft sich auch wirklich für alles ... Aber dem Kunden wird damit eine Qualität vorgeheuchelt, die gar nicht existiert. All diese negativen Seiten kenne ich inzwischen, jetzt wo ich erwachsen bin und mir Gedanken um meine Art zu leben mache und damit ist Fast Food und diese riesigen Konzerne nicht mehr vereinbar. Ich will nicht behaupten, dass ich niemals mehr ein solches "Restaurant" betreten werde, doch so lange es geht, will ich dort nicht mehr hin. In meinem Alter macht man sich ja auch durchaus schon Gedanken, was man machen wird, wenn man Kinder hat und dieser Gedanke macht mich irgendwie traurig. Denn so wie meine Eltern verfahren sind in Sachen Fast Food, finde ich es ideal: Sie haben mich nicht davon fern gehalten (was es ja immer umso reizvoller macht), sondern als etwas besonderes, das man alle paar Monate mal essen kann. Doch will ich eine Welt für meine - vielleicht mal - Kinder, in der man so wenig Wert auf Essen legt, dass es nur noch schnell und einfach gehen muss? In der man sich keine Gedanken darum macht, wie das Essen produziert wird, das vor einem auf dem Tablett liegt? Könnte ich meinen Kindern ruhigen Gewissens solches Essen geben, auch wenn es nur selten ist?
Neben all diesen negativen Gefühlen jedoch stürzten diese Erinnerungen auf mich ein: das Besondere in der Kindheit, der Geschmack der Obsttasche, das Zusammensitzen mit Freunden. Ich konnte mich sogar daran erinnern, was ich einmal gegessen hatte, als ich mit einer Handvoll Freundinnen in der Stadt unterwegs war.

Auf dem Heimweg, im Auto, habe ich zum ersten Mal wirklich mit dem Herzen begriffen, was Jonathan Safran Foer in "Tiere essen" meint, als er schreibt, dass die Leute Angst haben, Traditionen aufgeben zu müssen, wenn sie auf Fleisch verzichten würden. Mit dem Goldenen M verbinde ich auch Erinnerungen und wenn man so will "Traditionen". Doch wenn man hauptsächlich nur noch das Negative sieht, sollte man sich auch von Traditionen verabschieden und stattdessen neue begründen! Und so verabschiedete ich mich vom Goldenen M, als die Ampel an der Ecke auf Grün sprang und ich davonfuhr. 

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