(c) Frau von Saltkrokan |
Ich bin introvertiert. In unserer Gesellschaft ist dieses Wort mit Makel behaftet, man hat einfach nicht introvertiert zu sein. Introvertierte sind seltsame menschenscheue Käuze, die sich vor der Welt verstecken und viel zu ernst sind. Extraversion (auch Extroversion) ist angesagt. Wessen Albtraum es ist, auf einer Bühne zu stehen und berühmt zu werden, der hat in der heutigen Gesellschaft - scheinbar - nichts verloren.
Dabei habe ich inzwischen gelernt, dass Introversion absolut nichts Negatives ist, genauso wenig wie Extraversion hundertprozentig positiv ist, es sind einfach zwei Pole auf einer Persönlichkeitsskala, vollkommen wertfrei. Die beiden Pole äußern sich in verschiedenen Bedürfnissen: Introvertierte müssen sich regenerieren, indem sie für sich sind, Extravertierte, indem sie mit Menschen zusammen sind. Hätte ich das früher gewusst, wäre mir einiges an Ärger und Kummer erspart geblieben in meinem Leben. Eigentlich wusste ich schon immer, dass ich zur introvertierten Bevölkerung gehöre, aber als ich dann "Still" von Susan Cain las, kam ich zu ganz neuen Erkenntnissen und stellenweise kam es mir so vor als habe hier jemand ein Buch speziell über mich geschrieben. Es war mir ein Trost (genauso wie damals, als ich erfahren habe, welche Berühmtheiten Vegetarier sind/waren), eine Liste durchzulesen, in der viele illustre Namen auftauchten und die alle als introvertiert beschrieben wurden. Ich fühlte mich nicht mehr so allein mit meinen Spleens.
Es ist nicht so, dass ich darunter leide, dass ich introvertiert bin, aber es begleitet mich durch mein Leben und lässt mich spüren, dass ich manchmal anders bin als meine (extravertierten) Mitmenschen und vor allem anders als es oftmals von einem erwartet wird.
Schon als Kind war ich eher still und bin nicht laut brüllend durch die Gegend gerannt, um auf mich aufmerksam zu machen. Ich hatte meist nur eine Handvoll Freundinnen und Freunde, die ich dann aber fast so gut kannte wie mich selbst. Statt mit anderen Kindern zu toben, habe ich lieber bei den Erwachsenen gesessen und ihnen zugehört, wenn wir auf Festen waren. Ich habe es nie lange in einem Verein ausgehalten und fand es immer anstrengend, mit vielen (lauteren) Kindern zusammengesteckt zu werden. Als Teenager bin ich nicht in Diskos gegangen und ich war schon immer sehr nervös, wenn ich vor einer größeren Gruppe sprechen musste. Meine Deutschlehrerin, die inzwischen zu einer lieben Freundin geworden ist, hat schon in der achten Klasse erkannt und als eine der wenigen akzeptiert, dass ich mich besser schriftlich als mündlich ausdrücke. Die Diskrepanz zwischen schriftlichen und mündlichen Noten war bei mir nämlich immer sehr groß, weil ich meist erst nachdachte bevor ich mich meldete - was oftmals zu lange Zeit brauchte und wodurch sich andere einen Vorteil verschaffen konnten. Sowieso war meine introvertierte Art besonders in Teenager-Jahren schwierig, weil es mir damals noch wesentlich schwerer fiel auf Menschen zuzugehen. Heute ist das anders und darüber bin ich sehr froh, weil es das Leben deutlich leichter macht, weil die eigene Zurückhaltung von Anderen oft als Arroganz interpretiert wird - leider ...
In den Anfangszeiten in meiner eigenen Wohnung waren Besuche meiner Mutter wundervoll, aber es wurde mir auch schnell zu viel, vierundzwanzig Stunden am Tag jemanden um mich zu haben. Statt das aber zu akzeptieren, habe ich mich schlecht gefühlt und hatte Angst, man könnte meinen, ich wäre egoistisch und liebte die Menschen, die mich besuchten, nicht oder freute mich nicht über ihren Besuch.
Als ich einmal erzählte, dass ich es schön fand, Geburtstagsbesuch zu haben, es aber ebenso schön fand, wenn die Gäste wieder weg waren, hieß es, ich sei "fies". Doch es ist absolut nicht böse von mir gemeint, wenn ich meine Ruhe haben möchte, es ist einfach so, dass ich es in regelmäßigen Abständen brauche. Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich deswegen sehr schlecht gefühlt und mir Vorwürfe gemacht habe. Ich habe mich selbst als unsozial empfunden, weil ich oft Zeit für mich brauche. Das ist bis heute manchmal so, obwohl ich diese Tatsache immer mehr akzeptiere und mich deswegen nicht mehr verbiegen möchte. Vielleicht bin ich so wie ich bin, weil ich es von meinem Elternhaus nicht
anders gewöhnt bin - dort hatte ich von klein auf meine Privatsphäre
und durfte jederzeit, wenn ich es wollte, für mich sein. Vielleicht
liegt es auch daran, dass ich Einzelkind bin. Vielleicht liegt es aber
auch tatsächlich an meiner Persönlichkeit und meinen Hirnaktivitäten, so
wie ich es vor kurzem bei Susan Cain nachgelesen habe.
Inzwischen sehe ich es sogar als eine meiner Stärken an, dass ich nicht dauernd jemanden brauche, der mich bespaßt. Ich habe kein Problem damit, viel allein zu machen, selbst wenn es nicht so ist, dass mir nichts anderes übrig bleibt. Außerdem schaffe ich es inzwischen, zu extravertieren, wenn es notwendig ist und nur weil ich viel Zeit für mich brauche, bedeutet das nicht automatisch, dass ich schüchtern bin. Wenn ich mich wohl fühle, kann ich auch reden wie ein Wasserfall und für mich selbst und das, was mir wichtig ist, einzustehen, ist sowieso kein Problem. Wenn mich etwas interessiert und mir am Herzen liegt, werde ich dafür aktiv; in der Oberstufe habe ich es daher geschafft, den Geschichtsleistungskurs mündlich fast im Alleingang zu bestreiten. Ich bin froh, dass ich in meinem Nebenjob unter Leute komme und genieße es auch, mit meinen Kollegen zu arbeiten, bin dann aber genauso froh, wenn ich Feierabend habe. Nach einem langen Tag ist es für mich daher unvorstellbar, noch großartig etwas zu unternehmen, vor allem nicht mit einer Horde Leute. Lieber treffe ich mich mit einer einzelnen Freundin oder verbringe den Abend mit einem Buch oder einem guten Film daheim. Treffen und Telefonate mit Freundinnen sind mir allerdings heilig und sehr wichtig und ich gebe mir heute mehr Mühe, diese Freundschaften zu pflegen als das vielleicht früher der Fall war, weil ich inzwischen weiß, dass sie mein Fangnetz und nicht selbstverständlich sind.
Nur weil ich allein durchs Leben gehen kann, heißt das nicht, dass ich es auch dauerhaft möchte. Es ist nicht so leicht, mich dazu zu bringen, dass ich mich öffne, aber wenn man es schafft, wird man mich auch so schnell nicht wieder los, weil ich nicht so schnell das Interesse an jemandem verliere und sehr loyal bin.
Ich finde es schade, dass heutzutage nur die Lauten gehört werden und dass man, wenn man lieber zuhört als redet, sofort als hoffnungsloser Fall abgestempelt wird. Besonders bei Vorstellungsgesprächen hatte ich diesen Eindruck und sogar potentielle Arbeitgeber, die selbst ruhiger waren, erwarteten, dass man nicht ruhig ist und sich selbst lautstark anpreist. Ich würde mir wünschen, dass man den Ruhigen eine Chance gibt, denn den meisten geht es sicherlich so wie mir: Sie brauchen eine gewisse Zeit bis sie auf Betriebstemperatur sind, aber dann läuft es umso besser ...
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