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Alex Capus kenne ich
zugegebenermaßen erst seit „Léon und Louise“, das mich aber
restlos begeistert hatte. In seinem neuen Roman widmet er sich wieder
vergangenen Zeiten und entwirft ein spekulatives Szenario: Am
Züricher Bahnhof begegnen sich drei Menschen ganz zufällig und im
Vorbeilaufen/-fahren. Der Abiturient Felix Bloch, der vor der
Entscheidung steht, das richtige Studienfach für sich zu finden,
Laura d'Oriano, das heimatlose Kind, das Sängerin werden will und
von Emile Gilliéron, der die Asche seines Vaters in dessen Heimat
verstreuen soll. Capus zeichnet die Lebenswege seiner drei
Protagonisten nach und alle drei führt es in eine Richtung, mit der
sie nicht gerechnet haben.
Felix Bloch und Laura
d'Oriano kommt hierbei der größere Anteil zu, die beiden liegen
altersmäßig auch am nahesten, während Emile Gilliéron älter ist
und sein Leben daher eher im Rückblick erzählt wird. In seinem Fall
erfährt man recht früh, wie es zur Bezeichnung „Fälscher“
kommt, bei Felix Bloch und Laura d'Oriano muss man sich lange
gedulden bis sich ihre Wege so weit auflösen, dass man den
Romantitel hinterblickt.
Da Felix Bloch sich für
ein Studium der Physik entscheidet, ist seine Geschichte geprägt von
physikalischen Fachbegriffen und Erläuterungen, für die man einen
langen Atem oder ein generelles Interesse am Fach mitbringen muss.
Dennoch ist Felix Bloch so sympathisch, dass ich wenig übersprungen
und mich jedes Mal gefreut habe, wenn der Erzähler zu ihm
zurückkehrte. Die Identifikation funktioniert mit Laura d'Oriano am
einfachsten und sie ist die vielleicht faszinierendste Figur des
Romans. Sie ist ein Kind, das in der gesamten Welt zuhause und doch
heimatlos ist. Ihre Eltern sind Unterhaltungskünstler und auch wenn
ihre Mutter Sängerin ist, will Laura niemals so werden wie sie –
sondern mehr, eine Sängerin, die es nicht notwendig hat, ihr
Strumpfband herzuzeigen und einfach mit ihrer Stimme überzeugt. Weil
die Familie durch die halbe Welt reist, spricht Laura mehrere
Sprachen fließend und scheint ohnehin gewitzt und klug zu sein.
Emile Gilliéron hat das
Talent seines Vaters geerbt und ist ein begnadeter Zeichner. Sein
Talent führt ihn in eine Richtung, die für ihn persönlich zwar
viel Geld bringt, aber nicht gerade die edelste Tätigkeit ist – er
wird Kunstfälscher. Da er um einige Jahre älter ist, wird seine
Geschichte im Rückblick erzählt und spielt Anfang des zwanzigsten
Jahrhunderts, während Felix' und Lauras Geschichten hauptsächlich
in den Zwanzigern bis Vierzigern spielen.
Die Leben der drei hätten
schon alleine einen ganzen Roman füllen können, durch die
spekulative Begegnung der Protagonisten werden diese allerdings
miteinander verflochten und auch später wird dies im Falle von Felix
und Laura aufrecht erhalten. Emile fällt allerdings fast vollständig
aus diesem Raster heraus und taucht gegen Ende hin auch immer
seltener auf – dies mag darin begründet sein, dass er nicht so
lange lebt wie Felix und Laura, aber man bekommt auch leicht den
Eindruck, dass seine Geschichte schneller erschöpft ist und ganz
traurig war ich – ehrlich gesagt – nicht darüber ...
Der Erzähler des Romans
mutet manchmal nahezu postmodern an, wenn er Kommentare dazwischen
wirft, und der Roman selbst bewegt sich zwischen faktenbezogener
Biographie und fiktiver Erzählung, wobei um das Spekulieren nie ein
Hehl gemacht wird. Die historischen Ereignisse werden immer wieder
eingeworfen, teils präzise mit Datum, teils prophetisch, wenn Bezug
auf den weiteren Lebensweg der Protagonisten genommen wird. Immer
wieder heißt es „Er/Sie mag dies und das getan haben“, das
Unwissen des Erzählers wird gepflegt statt vertuscht und so entsteht
eine gelungene und spannende Symbiose zwischen Realität und Fiktion.
Leider konnte mich „Der
Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ nicht vollständig
überzeugen; der Roman fällt hinter „Léon und Louise“ zurück.
Nur im Detail blitzen immer wieder Momente auf, aus denen man
allerdings mehr hätte machen müssen, um daraus einen mitreißenden
Roman zu machen. Der Erzählstil ist sehr gekonnt, aber die
Geschichten der drei Protagonisten haben mich nicht so an das Buch
gefesselt wie ich es erwartet hätte. Besonders die Geschichte von
Emile Gilliéron hat mich nicht berührt und gegen Ende hin auch kaum
noch interessiert. Aufgrund der quantitativen Gewichtung hat man auch
das Gefühl, dass es dem Autor nicht anders ging und auch emotional
gesehen scheint ihm der Zugang zu Felix Bloch und Laura d'Oriano
besser gelungen zu sein.
Insgesamt eine nette
Unterhaltung, von der ich mir aber etwas mehr erhofft hatte und die
mich auch mit dem Gefühl zurücklässt, dass da mehr gegangen wäre.
«Gut möglich, dass dem Mädchen bei der Einfahrt in die Stadt jener junge Mann auffiel, der im November 1924 oft zwischen den Gleisen auf der Laderampe eines grau verwitterten Güterschuppens saß, um die ein- und ausfahrenden Züge zu beobachten und sich Gedanken über sein weiteres Leben zu machen. Ich stelle mir vor, wie er seine Mütze knetete, während der Orient-Express an ihm vorüberfuhr, und dass ihm das Mädchen im hintersten Wagen ins Auge fiel, das ihn mit beiläufigem Interesse musterte.» (S. 11)
Hanser
Verlag, Hardcover, 288 Seiten, ISBN: 978-3-446-24327-9, 19,90 €
(Kindle: 15,99 €)
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